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BIO

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Als Produzent von Marsimoto erfand Dead Rabbit Mitte der nuller Jahre die deutsche Popmusik ein bisschen neu. Nun verpasst der gebürtige Rostocker sich selbst einen Reboot. Auf seinen ersten eigenen Alben “Dark Shades / Bright Lights” versammelt er alte Helden, langjährige Freunde und neue Stars für eine neue Zukunft.

Es ist eine dieser siedend heißen Nächte des Sommers 2018: beinahe unwirklich und doch mit jeder Pore spürbar. Unter dem Neuköllner Wohnstudio von Dead Rabbit passiert Leben, und davon reichlich. Drin türmen sich CDs, Platten, Tapes, dazu ein paar Andenken an seine Erfolge mit Künstlern wie Marteria oder Samy Deluxe. Deady dreht sich noch eine und die Anlage ein bisschen lauter. Nur eine Nuance, unmerklich fast. Aber es muss so sein. Martin Göckeritz, wie der gebürtige Rostocker bürgerlich heißt, ist das, was man mit Fug und Recht einen zurückhaltenden Menschen nennen kann. Er ist kein Mann großer Worte, kein Freund großer Gesten. Aber wenn er von Musik spricht – perfekt imperfekten Gesang aus Jamaika, den Ein uss von Timbaland und Björk, die Hi-Hat, die er letzte Nacht gefunden, die Vocal-Spur, die er heute gemischt hat – ö net sich etwas in ihm. Aus ihm strahlt dann der elfjährige Junge, der durch Zufall über die HipHop-Kultur stolperte und begierig alles in sich aufsog, was er greifen konnte. Der Fan, der eigentlich immer noch nicht glauben kann, dass er nun selbst Teil dieser großen, magischen Welt ist. Ja, mehr noch: Sie entscheidend mitgeprägt hat und weiter prägt.

Aufgewachsen ist Dead Rabbit in Rostock. Sein Vater ist Dirigent, seine Mutter Pianistin, er selbst spielte Violine und sang im Chor. Musik war immer da in seinem Leben. Als er die ersten Mixtapes mit Songs von Nas und Wu-Tang in die Finger bekam, hatte das dennoch noch mal eine andere Qualität. Was er da hörte, ließ ihn nicht mehr los. Also besorgte er sich mehr Mixtapes, connectete mit lokalen Größen wie DJ A-Rock, der Underdog Cru, Gabreal und einem gewissen Marten Laciny. Auf den Jams und Skate-Contests der Stadt schoss er Fotos, was ihm den respektvollen Beinamen “Photomartin” einbrachte. Mehr als alles andere aber faszinierten ihn die Beats, die Wucht eines Soundsystems, das Finstere, Mystische, auch Abgründige der Nacht. Diese Faszination hat ihn nie losgelassen.

Ende der neunziger Jahre investierte Dead Rabbit seine Ersparnisse in Equipment und begann, in wechselnden Konstellationen, Beats zu bauen und Songs zu produzieren. Seinen Bruder im Geiste fand er schließlich in Marten Laciny, damals noch gänzlich unbekannt, aber mit dem selben Hunger und Wahnsinn gesegnet, den er heute noch in sich trägt. Im Sommer 2006 verö entlichten die beiden in Kleinstau age das erste Marsimoto-Album “Halloziehnation” über das Indie-Label magnum12. In den 30 verballerten Songfragmenten – gerappt von einem grünen Fabelwesen mit Liebe zu Weed, Fußball, Jux und Völlerei, und mit nur einer Ausnahme produziert von Dead Rabbit – steckten Timbaland, Stones Throw, Company Flow, Grime, The Streets, Björk, Jazz. Vor allem aber steckte darin ganz viel Eigenes. Während der Rest von Deutschrap-Deutschland maximal verkrampft (und maximal erfolglos) Aggro Berlin zu kopieren suchte und sich damit immer mehr in seine eigene Schockstarre kasernierte, machte “Halloziehnation” alles anders und alles fresh. Quasi über Nacht war alles wieder drin: Rave im Rap und Rap im Radio. Marsi und Deady kamen aus dem tiefsten Underground – und veränderten Pop in diesem Land für immer.

In der Folge produzierte Dead Rabbit auf allen Marsimoto-Alben und arbeitete mit Artists wie Samy Deluxe oder dem jüngst verstorbenen Seeed-Sänger Demba Nabé alias Boundzound. Um 2015 herum reifte in ihm die Idee, ein eigenes Album aufzunehmen. Der Fan in ihm hatte wieder aus und zu ihm gesprochen: “Leute wie Melbeatz oder Plattenpapzt haben coole Produzenten-Alben gemacht, die Deutschrap-Klassiker geworden sind. Für mich ist es etwas sehr Besonderes, jetzt auch eine eigene Platte machen zu dürfen.” Oder um genau zu sein: zwei Platten – die eigener kaum sein könnten.

Dead Rabbit mag die Geschichte studiert haben. Was seine Musik angeht, ist ihm jede Nostalgie fremd. “Dark Shades” und “Bright Lights” stehen fest im Hier und Jetzt – und zeigen auf, wie Pop im Post-Genre-Zeitalter klingen kann.

Die Fakten vorne weg: „Dark Shades“ ist das internationale Album, „Bright Lights“ das deutschsprachige. Auf beiden nden sich jeweils zwölf Songs, größtenteils produziert und aufgenommen im Deady-HQ in Berlin-Neukölln. Zu hören sind alte Helden wie Samy Deluxe oder Bay-C von der legendären Dancehall-Kombo T.O.K. Langjährige Freunde wie Marteria und dessen dauerdru es Alter Ego Marsimoto. Neue Stars der Streaming-Ära wie Kelvyn Colt, BRKN oder Bausa, dessen “Was du Liebe nennst” ganze neun Wochen lang an der Spitze der deutschen Single-Charts stand. Zu hören sind aber auch echte Neuentdeckungen wie die deutsch-türkische Sängerin/Rapperin Mesu Diye oder Noémie Wolfs aus Belgien. Es gibt waschechte Weltstars wie Agent Sasco, der bereits Hits mit Kanye West und Kendrick Lamar aufgenommen hat, und es gibt völlige Unbekannte wie den Rapper Sola Plexus, der Dead Rabbit einst bei einem DJ-Gig im Ruhrpott ein Demo in die Hand drückte. Es gibt kleine Hymnen und große Basslines. Retro-Dancehall und Future-Pop. Leise Momente und Futter für die Heute-kann-ich-kann-die-Welt-zerreißen-Playlist.

Zusammengehalten wird all das von Dead Rabbits tatsächlich einzigartigem Produktionsstil. Ein echter Deady sticht raus – egal ob Marsimoto über einen abgefuckten Breakbeat brettert oder BENDMA in Zeitlupe eine bittersüße Breakup-Hymne singt. In seinen Beats stecken das Ru e von Rap, das Kaputte der Nacht, das Intuitive der DIY-Kultur Dancehall, und gleichzeitig ein untrügliches Gespür für Harmonien, Arrangements und Kontraste, das er von frühester Kindheit an mitbekommen hat. Vor allem aber steckt in seinen Beats eine unterschwellige Melancholie und unaufdringliche Tiefe, die selbst die augenscheinlichen Turnup-Momente durchweht. Dead Rabbit macht keinen Hehl daraus, dass die drei Jahre der Album- produktion nicht immer einfach waren; dass der Traum, den er lebt, ihn oft genug aus dem Schlaf gerissen hat; dass Freiheit wahnsinnig lähmend sein kann, wenn der Kühlschrank immer leerer und die Nächte immer länger werden. Es ist nicht alles Gold, auch wenn das auf der goldenen Schallplatte im Regal steht. Dafür kannst du auch in der größten Finsternis noch Schönheit nden, wenn du nur lange genug suchst. Das ist die subtile Botschaft von “Dark Shades / Bright Lights”.

Die beiden Titel, im ersten Moment ein harmloses Spiel mit oft bemühten Bildern, las- sen sich so auch als biogra sche Wendemarke lesen. Die dunklen Tage des Struggles liegen hinter Dead Rabbit. Wenn am 21.12., am Tag der Wintersonnenwende, seine beiden Alben erscheinen, bricht eine neue Zeitrechnung an. Für ihn – und für jeden, der etwas für Sound mit Seele und Kanten übrig hat. Dark Lights, Bright Shades, vielleicht ist das am Ende ja ohnehin das selbe. Weil in echtem Leben immer beides steckt. Und in echter Musik sowieso.

Text: Davide Bortot 

 

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